Abwassertechnik

Bereit für die nächste Skisaison:  Erweiterung der Kläranlage Radstadt10 min read

20. Mai 2016, Lesedauer: 7 min

Bereit für die nächste Skisaison:  Erweiterung der Kläranlage Radstadt10 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Der boomende Tourismus in den Orten Radstadt, Altenmarkt, Flachau und Obertauern (Gemeinden Tweng und Untertauern) brachte die Kläranlage RHV Salzburger Ennstal mehrmals an ihre Grenzen.

Mit der vierten Ausbaustufe, die mit Juni 2015 abgeschlossen wurde, kann die Anlage das Abwasser von 125.000 Einwohner-Werten klären. Durch die einfache Ein- und Ausgliederung der einzelnen Beckenstraßen arbeitet die Kläranlage aber auch außerhalb der Saison effizient. Denn dann schrumpft die Ski-Region von 100.000 auf 15.000 Personen.

Pulvriger Schnee, atemberaubende Bergkulissen mit idyllischen Gipfeln, die vom Schnee wie mit Zuckerguss glasiert wirken, und ein Abendprogramm, das kaum Wünsche übrig lässt – egal, ob man nun den Pistentag beim Après-Ski ausklingen lassen will, oder doch lieber beim gediegenen 5-Sterne-Dinner oder urig in der Sauna. Es spricht also einiges dafür, seinen Winterurlaub in Radstadt, Altenmarkt, Flachau oder Obertauern (Gemeinden Untertauern und Tweng) zu verbringen. Das touristische Angebot wird auch seit Jahren intensiv genutzt. Die beschaulichen Ortschaften wandelten sich zu einer der wohl bekanntesten Ski-Regionen Österreichs. Um mit der steigenden touristischen Entwicklung Schritt zu halten, musste auch die Infrastruktur angepasst werden. Mit dem Fremdenverkehr wuchs auch die Kläranlage, die das Abwasser der Region aufbereitet.

Zusammenschluss der Gemeinden
Die Gemeinden rücken zusammen: In den 70er-Jahren befanden sich in den einzelnen Gemeinden bereits Kleinkläranlagen, diese waren aber aufgrund des Wachstums in der Bevölkerung und im Tourismus bald nicht mehr in der Lage, die Abwässer ordentlich zu reinigen. So wurde auf Anraten der zuständigen Fachabteilung des Landes eine gemeinsame Lösung für die Entsorgung der Abwässer realisiert. 1974 folgte die Bewilligung der Kläranlage und die Gründung des RHV Salzburger Ennstal mit der Inbetriebnahme 1984 – damals klärte die Anlage das Abwasser von 34.000 Einwohner-Werten (EW). Mit der kontinuierlich steigenden Anzahl an Gästebetten in den Gemeinden Radstadt, Altenmarkt, Flachau, Tweng und Untertauern mussten auch die Kapazitäten angepasst werden, so geschehen 1990, 1999/2000 und nun 2012 mit der Inbetriebnahme in der Wintersaison 2014/15. „Wir haben aber im Grunde etwa alle zehn Jahre die Anlage erweitert. Und jetzt war die große Erweiterung notwendig. 1999 war der letzte Bauabschnitt mit einer zusätzlichen Beckenstraße, hier haben wir auf 63.000 EW ausgebaut“, umreißt der Geschäftsführer der Kläranlage, Ing. Franz Rainer, die bauliche Geschichte der Kläranlage in Radstadt. „Jetzt haben wir verdoppelt.“ Seit 2004 ging die Kurve der Einwohner-Werte steil nach oben: Waren es damals etwa 85.000 EW, wuchsen die Einwohnerwerte 2008 bereits auf 100.000 an. Den Kapazitätsgrenzen wurde dabei merklich nahe gerückt. „Wir haben die Ablaufwerte noch eingehalten, das Wasser geht raus in die Enns. Aber wir haben keine Reserven mehr gehabt. Es hätte zu keinen Komplikationen kommen, nichts ausfallen dürfen. Da haben wir natürlich handeln müssen“, beschreibt der Geschäftsführer den Zustand kurz vor dem Umbau.

Bedeutung für den Tourismus
Dabei war die Bedeutung der Kläranlage für die touristische Entwicklung groß: Um hier Einschränkungen entgegenzuwirken, wurde die große Erweiterung durchgeführt, um die Kapazitäten der Kläranlage auf 125.000 EW zu steigern. Dieser Wert ergab sich nach Prognosen der einzelnen Gemeinden zu ihrem Wachstum bis zum Jahr 2025. „Es wird wieder sehr viel in der Region investiert, besonders nachdem klar war, dass die Kläranlage erweitert wird“, unterstreicht Franz Rainer die Wichtigkeit der Kläranlage für den Tourismus in der Region. Durch die Höhe des Investitionsvolumens war es notwendig im Jahr 2010 einen EU-weiten Planungswettbewerb durchzuführen. Die Planungsgemeinschaft Büro Dr. Lengyel ZT GmbH aus Wien und das Ingenieurbüro Passer & Partner Ziviltechniker GmbH aus Innsbruck gingen bei dem Wettbewerb als Sieger hervor. Von der veranschlagten Investitionssumme von 18,5 Mio. Euro konnte 1 Mio. Euro eingespart werden, auch die Bauzeit wurde um ein Jahr unterschritten.

Klären in Hoch- und Nebensaison
Neben den Spitzenauslastungen in der Skisaison, wo bis zu 140.000 EW abgedeckt werden können, gibt es auch das drastische Gegenstück in der Nebensaison. „Im Oktober/November haben wir EW von 15.000 und zu Weihnachten sind es 110.000 EW. Die gesamte Anlage ist für den Tourismus ausgerichtet – im Grunde also für drei bis vier Monate“, beschreibt Franz Rainer den Jahresbetrieb. Um die An­age effektiv zu führen, wird in der Nebensaison eine Beckenstraße der Wasserlinie abgezogen. „Die wird im Mai geleert und Ende Oktober wieder befüllt, um die Kapazitäten optimal zu nutzen und Betriebskosten einzusparen“, so der Geschäftsführer. Jedes Becken kann einzeln abgeschaltet werden – bei einer Anlage, die so extremen EW-Schwankungen unterworfen ist wie die RHV Salzburger Ennstal, macht das Prinzip der Ein- und Ausgliederung von Beckenstraßen sehr viel Sinn.

Vergrößert und modernisiert
Der Ausbau sah weitgehende Erweiterungen und Adaptierungen im Bereich der Wasserlinie – Errichtung eines dritten Belebungsbeckens, Adaptierung der alten Belebungsbecken und der Nachklärbecken – und im Wesentlichen einen Neubau der Schlammbehandlung inklusive Gasverwertung vor. Die alten Bauteile der Schlammbehandlung waren durch den schlechten Baugrund bereits baufällig, so entschloss man sich für die Neuerrichtung. „Wir stehen hier auf Torfboden, alle Gebäude werden von Betonpfählen getragen, die bis zu 28 m in die Erde reichen, was ein großer Kostenfaktor war. Sieht man nicht, aber ohne dem geht’s nicht. Auch die ganzen Becken stehen auf Pfählen“, führt der Geschäftsführer aus. „Die Schlammtürme sind kompletterneuert worden. Man hat nur die zwei Faultürme bestehen lassen. Die gesamte alte Schlammbehandlung ist geschliffen worden. Eine Beckenstraße wurde neu errichtet mit dem darüber konstruierten Gebläse, um Platz zu sparen und gleichzeitig das Beckenvolumen zu erhöhen. Die alten Beckenstraßen wurden saniert. Bautechnisch wurde alles geprüft. Wenn es notwendig war, wurde es ausgebessert und in das System wieder eingegliedert.“ Im Schneckenhebewerk und im Rechenhaus wurden neue Ausrüstungen zur Kapazitätsanpassung und verbesserten Abscheidung eingebaut. Die elektrische Ausstattung der gesamten Kläranlage und die Steuerungstechnik wurden auf den neuesten Stand gebracht. Die Planung hiefür wurde vom Büro ETS Claus Salzmann – Planung für Elektrotechnik aus Saalfelden durchgeführt. Und auch die Warte und das Bürogebäude wurden saniert.

Ablauf der Kläranlage
In zwei parallel angeordneten Feinrechen mit jeweils 3 mm Spaltweite werden Grobstoffe wie Textilien, Speisereste und Papier automatisch abgeschieden und in der Rechengutwaschanlage von den mitgeführten organischen Bestandteilen befreit. Der Restmüll kommt in einen Container und wird zur Deponie gebracht. Das Wasser fließt in einen kombinierten Sand-Fett-Fang. Durch verringerte Strömungsgeschwindigkeit und Erzeugen von Druckluft setzt sich Sand an der Beckensohle ab und es werden Schwimmstoffe und Fett an der Oberfläche zurückgehalten. Der Sand wird nach der Sandwäsche entsorgt, das Fett wird der Schlammlinie zugeführt. Der belüftete Sandfang und die Vorklärbecken wurden nach Adaptierungen und teilweiser Neuausrüstung weitgehend unverändert weiterverwendet. Gemeinsam wird durch die mechanische Reinigungsstufe rund ein Drittel der Schmutzfracht entfernt. Im anschließenden Vorklärbecken werden alle absetzbaren Stoffe aus dem Abwasser entfernt und als Primärschlamm abgezogen. Im Normalbetrieb sind das etwa 30 Prozent der Schmutzstoffe. Während der Spitzenbelastung im Winter kann durch die Zugabe von Fällungsmittel der Reinigungsgrad gesteigert werden.

Das Herzstück der Kläranlage ist die Belebung, hier findet die komplette Reinigung statt. Die Belebung wird wechselweise belüftet und gerührt. In dieser biologischen Reinigungsstufe sorgen Bakterien und Kleinstlebewesen für die Entfernung der abbaubaren Abwasserinhaltsstoffe. Durch das Einblasen von Druckluft wird die Biozönose mit Sauerstoff versorgt und durch Rührwerke werden die Bakterien ständig in Schwebe gehalten, sodass ideale Lebensbedingungen herrschen. Von der Belebung geht es dann in die drei sanierten Nachklärbecken, hier kann sich der Schlamm am Boden absetzen. Das gereinigte Abwasser wird vom Schlamm getrennt und direkt in die Enns geleitet.

Der sogenannte Rücklaufschlamm, der vom Boden der Nachklärbecken abgezogen wird, wird zu einem Pumpwerk geleitet, wo er zum Teil wieder der Belebung zugeführt wird, damit sich jederzeit genügend Bakterienmasse darin befindet. Ein weiterer Teil, der sogenannte Überschussschlamm, geht weiter in die Schlammbehandlung.

Vorgang der Schlammbehandlung
Der Schlamm wird zunächst im Eindicker beziehungsweise in der maschinellen Überschussschlammentwässerung von überschüssigem Wasser befreit und anschließend in die Faulbehälter befördert. Dort wird die organische Substanz im Schlamm anaerob von Methanbakterien abgebaut. Für optimale Lebensbedingungen sorgen Temperaturen um die 38 Grad, der Schlamm muss daher ständig erwärmt werden. „Wir erzeugen Strom und mit der Abwärme der Turbinen heizen wir die Faultürme. Die gesamte Energie kommt von den Gasturbinen – die elektrische sowie die Wärmeenergie“, erläutert Franz Rainer. „Wir heizen 5.250 m3 Schlamm, der eine Ursprungstemperatur von ca. 8 Grad hat – also eine ganze Menge. Und im Winter erwärmen wir pro Tag bis zu 180 m3 von 8 Grad auf 38 Grad.“

Klärgas für Eigenenergiebedarf
Der Schlamm aus den Faultürmen, mit einem Wassergehalt von ca. 97 Prozent, wird im Vorlagebhälter zwischengespeichert und in der Folge maschinell über eine Schneckenpresse entwässert. Der nunmehr ausgefaulte und entwässerte Klärschlamm (Trockensubstanz ca. 25 Prozent) kann nun der Entsorgung zugeführt werden. Das im Faulturm durch den Abbauprozess entstehende Klärgas wir im Gasbehälter gespeichert und anschließend in Mikrogasturbinen (CR 65-MicroTurbinen von VTA) verarbeitet. Die dabei gewonnene Energie wird über Wärme­tauscher zur Erwärmung des Schlamms und mittels Generatoren zur Stromerzeugung verwendet. Zusätzlich zum Wärmebedarf für die Faultürme kommt ein Stromverbrauch pro Jahr von ca. 1 Mio kWh. So liegt das Augenmerk der umgebauten Kläranlage auf der gesteigerten Deckung des Eigenstrom- und -wärmebedarfs. Lag die Produktion des Eigenstrombedarfs 1999/2000 noch bei 50 Prozent, konnte diese auf 70 Prozent gesteigert werden – erklärtes Ziel sind 80 Prozent. „Das Faulgas, das in den Faultürmen entsteht, kommt in den Gastank und von dort zu den Verbrauchern – den zwei Gasturbinen, mit denen wir Strom und Wärme erzeugen. Die Wärme verbrauchen wir selbst oder wir entlassen es bei Nichtgebrauch an die Luft – im Sommer können wir die Wärme nicht verbrauchen und wir haben keine Abnehmer in der Nähe. Den Strom verbrauchen wir zur Gänze selbst, derzeit produzieren wir etwa 750.000 kWh“, erklärt Franz Rainer. Die Steigerung von 50 auf 70 Prozent produzierten Eigenstroms lässt sich mit dem Wechsel des Systems erklären. Bei den zuvor angeschlossenen Gasmotoren gab es laufend technische Probleme – insbesondere mit der Elektrik und bei der Wärmegewinnung – und dadurch einen erhöhten Serviceaufwand. „Das haben wir jetzt durchgerechnet und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir Gasturbinen verwenden werden, da diese vom Wartungsaufwand her günstiger sind – auch wenn der elektrische Wirkungsgrad von Gasmotoren besser ist.“

Zusätzliche Übernahme von Fettabscheiderinhalten für mehr Eigenstrom
Um 100 Prozent energieautark zu sein, reicht der reine Betrieb als Kläranlage nicht aus. So will die Kläranlage Radstadt die Deckung ihres Eigenenergiebedarfs durch die Übernahme von Fettabscheiderinhalten steigern. Entsorger liefern die Fettabscheiderinhalte von der Gastronomie bei der Kläranlage ab, diese werden dem Faulturm hinzugeführt. Hier werden sie mitverarbeitet und es wird Gas lukriert – so laufen die Gasanlagen noch effizienter. Eine Win-Win-Situation: Die Gastronomie entsorgt günstiger, die Kläranlage produziert Eigenstrom. Der Hintergedanke war: Wenn die Gastronomie die Fettabscheiderinhalte nicht in der Kläranlage fachgerecht entsorgt, wird es oftmals in den Kanal geleitet. Es folgt ein erhöhter Reinigungsaufwand, und somit wird wieder mehr Energie verbraucht. Als touristische Region ist ein überaus hohes Potenzial vorhanden, das Angebot wird seit einigen Jahren gerne genutzt. „Viele Entsorger liefern bei uns ab, da es eine Weg- und Zeitersparnis ist – sonst müssten sie nach Salzburg oder sogar nach München fahren“, zählt Kläranlagen-Geschäftsführer Rainer einen weiteren Vorteil der Fettabscheiderinhalte-Entsorgung am Klärwerk in Radstadt auf. „Wir sind bereits am überlegen, ob wir noch eine dritte Gasturbine anschaffen. Wenn der Ablauf logistisch gut umgesetzt ist, sodass diese Stoffe in geregelten Abständen angeliefert werden, lohnt es sich, eine dritte Turbine zusätzlich zu betreiben – hier wäre das Ziel energieautark zu sein, sodass wir zu 100 Prozent Eigenstrom erzeugen. Sinn macht die Eigenstromerzeugung nur, wenn man sie selbst verbrauchen kann, die Einspeisung ins Netz ist einfach nicht mehr so lukrativ. Aber für die Eigenstromabdeckung wäre es sehr zielführend.“

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