Klärwerk Koblenz mit Pilotprojekt „Sustreat“: vom Entsorgungsbetrieb zum Innovationsführer4 min read
Lesedauer: 3 Minuten20 Prozent des Strombedarfs von Städten und Gemeinden gehen auf das Konto von Kläranlagen und gehören somit zu den größten kommunalen Energieverbrauchern.
Im Rahmen des von der EU geförderten „Life+“-Programms wurde das Pilotprojekt „SusTreat“ gestartet: Das Klärwerk Koblenz soll als Deutschlands modernste Kläranlage völlig energieautark arbeiten. Unter anderem soll dieses Ziel durch die energetische Nutzung von Klärschlamm erreicht werden.
Seit 1970 leistet die Stadtentwässerung Koblenz verlässlich ihren Beitrag für eine saubere Stadt. Mehr als 40 Jahre später stellen der Klimawandel, die steigenden Energiekosten und die mittel- bis langfristig ungewisse Entsorgungslage für Klärschlamm Städte und Kommunen vor neue Herausforderungen. Das Klärwerk Koblenz ist mit einer Ausbaugröße von 320.000 Einwohnergleichwerten die zweitgrößte kommunale Kläranlage in Rheinland-Pfalz. Das Abwasser von über 100.000 Menschen sowie von Gewerbe und Industrie wird hier zuverlässig gereinigt. Durch konsequente Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen gehört die Anlage zu den modernsten in Deutschland.
Energieeffizientes Arbeiten seit 40 Jahren
Bereits seit 40 Jahren wird in den Faultürmen aus energiereichem Klärschlamm Gas produziert, das zu 100 Prozent in die Selbstversorgung fließt. Damit konnte das Klärwerk den Energiebedarf zu 54 Prozent elektrisch und zu 98 Prozent thermisch decken. Mit der Umsetzung der letzten Adaptionen wird mittel- bis langfristig die vollständige Energieautarkie angestrebt – es soll die Trocknung und Vergasung ohne Zufuhr zusätzlicher, externer Energie und die gleichzeitig Senkung der CO2-Emission um 25 Prozent erreicht werden.
Energie in Eigenregie erwirtschaften
Ziel des „SusTreat“ genannten Pilotprojekts am Klärwerk Koblenz ist es, Energie in Eigenregie zu erwirtschaften. Denn Kläranlagen gehören zu den größten kommunalen Energieverbrauchern – rund 20 Prozent des Strombedarfs von Städten und Gemeinden gehen auf ihr Konto. Bestrebt wird eine großtechnische Demonstration eines neuen Lösungsansatzes zur vollständigen Erschließung und Nutzung der abwasser- und klärschlammimmanenten Energiepotenziale in kommunalen Kläranlagen. Erstmals soll eine vollständig energieautarke Klärschlammbehandlung inklusive Faulung, Trocknung und Vergasung realisiert, und basierend am Beispiel der Kläranlage Koblenz gezeigt werden, dass die in einem Großklärwerk anfallende Klärschlammmenge ohne zusätzlichen Energiebezug von externen Anbietern um etwa 85 Prozent reduziert und bei optimaler Auslegung des Systems zusätzliche Energie zur Versorgung anderer Betriebsanlagen bereitgestellt werden kann.
Einzelne Modullösungen, die intern vorhandene Energieströme optimal nutzen, werden intelligent kombiniert. Als CO2-neutrale Energieträger sind im Klärwerk Klärschlamm und Faulgas vorhanden, aber noch nicht gänzlich zur Nutzung erschlossen. Hinzu kommt die Sonne zur emissionsfreien Energieerzeugung.
Energiepotenziale nutzbar machen
Das von der EU im Rahmen des „Life+“-Programms mit über zwei Millionen Euro geförderte Pilotprojekt „SusTreat“ stellt eine komplexe Systemlösung dar, die diese Energiepotenziale nutzbar macht und bündelt. Als Spezialist für Entwicklung, Planung und Umsetzung innovativer technologischer Konzepte für die Wasserversorgung und Abwasserbehandlung begleitet das Ingenieurbüro Dr.-Ing. W. Götzelmann + Partner GmbH das Projekt SusTreat. Das Unternehmen ist bereits Partner zahlreicher industrieller und kommunaler Kläranlagen. Von dem großen Erfahrungsschatz und Know-how der dort beschäftigten 25 Bauingenieure, Verfahrenstechnik-Ingenieure, Bautechniker und -zeichner profitiert nun auch die Stadtentwässerung Koblenz auf ihrem Weg zu einer energieautarken Großkläranlage.
Vergasung von Klärschlammgranulat
Um die Kläranlage möglichst autark zu versorgen, setzt der Betreiber auf das hohe Potenzial des anfallenden Klärschlamms: Dieser enthält große Mengen von Kohlenstoff, der sich durch Vergasung in Energie umwandeln lässt. Hier kommt die innovative Technik von Sülzle Kopf SynGas und Sülzle Klein zum Einsatz. Die Entwässerungs- und Trocknungsspezialisten der Sülzle Klein GmbH nahmen für das Projekt bereits 2015 einen Bandtrockner vom Typ Pro-Dry 2/4 in Betrieb, der den Klärschlamm für die Vergasungsanlage vorbereitet. Dazu bringt dieser den Klärschlamm auf einen Trockenrückstand von bis zu über 90 Prozent. Dabei entsteht ein festes Granulat, das der Klärwerksbetreiber in einem Lagersilo zwischenspeichert. Die Kopf SynGas-Anlage vergast das Granulat anschließend bei einer Temperatur von rund 850 Grad Celsius. Organische Gifte wie Medikamentenrückstände, Hormone und Bakterien werden dabei vollständig vernichtet. Es entsteht ein brennbares Gas, das anschließend in mehreren Stufen von weiteren belastenden Stoffen wie Schwermetallen, Teeren und Schwefel gereinigt wird. Anschließend lässt sich das Gas in einem angeschlossenen Blockheizkraftwerk zur Wärmegewinnung oder in einem Gasmotor zur Stromerzeugung nutzen. Die SynGas-Anlage ist dabei so flexibel ausgelegt, dass sie je nach Bedarf nur Wärme, nur Strom oder beides erzeugen kann. Die bei der Vergasung entstehende Asche ist mineral- und phosphathaltig. Sie lässt sich als Düngemittel in der Landwirtschaft oder zur Rückgewinnung des wertvollen Phosphats weiterverwerten. Das hohe Nutzungspotenzial des Klärschlamms wird damit vollständig ausgeschöpft. „Das kombinierte Know-how von Sülzle Kopf SynGas und Sülzle Klein ermöglicht ein ausgefeiltes und nachhaltiges Energiekonzept, bei dem sämtliche Elemente der Prozesskette optimal ineinandergreifen“, betont Dr. Stephan Mey, Geschäftsführer von Sülzle Kopf SynGas.
Inbetriebnahme im Oktober
Die Anlieferung der Kopf SynGas-Anlage erfolgte in mehreren Einzelteilen. Aufgestellt und verschweißt wurden zudem auch erste Bauelemente des Vergasers, der als Herzstück der Anlage gilt. „Mit unserer Technik liefern wir einen entscheidenden Beitrag für das Projekt „SusTreat“, erklärt Dr. Stephan Mey.
Der Abschluss der Montagearbeiten der Kopf SynGas-Anlage ist für den Frühsommer 2017 geplant, im Oktober soll das gesamte EU-geförderte Pilotprojekt dann fertig gestellt sein.
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