Vierkanter Gottes wird umweltfreundlich mit Biomasse beheizt6 min read
Lesedauer: 5 MinutenAuch profane Belange müssen in Gotteshäusern geregelt werden – und dazu zählt auch die Wärmeversorgung. Im Stift Seitenstetten in Niederösterreich beschritt man diesbezüglich schon früh einen modernen Weg und entschloss sich für eine Beheizung der Klostergebäude mittels Biomasse. Heute wird nicht nur die seit über 900 Jahren bestehende Wirkstätte der Benediktiner mit nachhaltiger Wärme versorgt, sondern eine Vielzahl weiterer Abnehmer in Seitenstetten. Dank der signifikanten Erweiterung des Fernwärmenetzes, des Neubaus des Heizhauses sowie der eingesetzten innovativen Technik, ist die Fernwärme Seitenstetten fit für die Zukunft und liefert seit letztem Jahr mehr als doppelt so vielen Verbrauchern Wärme aus ökologischem Brennstoff.
Seit der Gründung des Stifts Seitenstetten 1112 ist das Kloster im Herzen des Mostviertels Begegnungsstätte gläubiger Menschen. 1986 beschloss der „Vierkanthof Gottes“ – wie die Abtei aufgrund ihrer Bauweise liebevoll genannt wird – den dazugehörigen landwirtschaftlichen Betrieb auszulagern und zu verpachten. Unter der Bedingung, den Stift Seitenstetten und dessen Gebäude mit Energie zu versorgen, erhielt DI Karl Latschenberger den Zuschlag. Somit war die Fernwärme Seitenstetten gegründet worden. Das Heizwerk wurde in den Räumlichkeiten des heute als Veranstaltungsort genutzten Stiftsmeierhofes errichtet – vorerst nur für die Versorgung der Klostergebäude. Nach und nach wurden auch immer mehr Gebäude in Seitenstetten an das Leitungsnetz angeschlossen, sodass der in die Jahre gekommene Kessel nicht die erforderliche Leistung erreichte. Da das bestehende Heizhaus für einen Ausbau zu klein war, entschied man 2015 gemeinsam mit dem Stift Seitenstetten und dem Planungsbüro Ringhofer & Partner GmbH ein neues Heizwerk hinter dem Stiftsmeierhof zu errichten. Auch ein Zubau im historischen Gebäude war nicht möglich: „Aufgrund des Denkmalschutzes konnte die alte Heizzentrale nicht umgebaut werden, daher musste ein neues, geeignetes Grundstück gefunden werden“, berichtet Ing. Martin Ringhofer, Geschäftsführer des verantwortlich zeichnenden Planungsbüros Ringhofer & Partner. Der Standort gleich hinter dem Stiftsmeierhof erwies sich als ideal. Im Zuge des Neubaus wurden die restlichen öffentlichen Gebäude der oberösterreichischen Gemeinde wie Mittel- und Volksschule sowie Wohnbauträger und Privathäuser an das Netz angeschlossen.
Erweiterung des Leitungsnetzes
Vor sieben Jahren stieg Paul Latschenberger MSc als Geschäftsführer und Mehrheitseigentümer in die Firma ein und baute das Leitungsnetz weiter aus. Bereits vor dem Ukrainekrieg 2022 wurde ein weiterer Rohrnetzausbau beschlossen, sodass im Laufe des Jahres 2022/23 befeuert durch die Krise zusätzlich 130 neue Objekte an das Fernwärmenetz angeschlossen wurden – mittlerweile werden insgesamt ca. 220 Kunden mit Wärme versorgt.
Schnittstelle zwischen Heizwerk und Abnehmer hält Wärmeverluste gering
Bei der Übergabe und Verteilung von Wärme auf der entscheidenden „letzten Meile“ bildet die Technik des Unternehmens Pewo die Schnittstelle zwischen Wärmeerzeuger und Verbraucher. Dabei lieferte der Energietechnik-Spezialist neben den Fernwärme-Übergabestationen auch die Heizwerkautomatisierung, die Netzregelung sowie das Datenleitsystem. Pewo führte hierbei außerdem die Inbetriebnahmen durch. Damit die Fernwärme Seitenstetten eine wachsende Zahl an Verbrauchern nachhaltig und effizient mit Wärme versorgen kann, bedarf es natürlich an entsprechender Leitungen. Für deren Verlegung zeichnete das steierische Unternehmen Wundara verantwortlich. Ein vorisoliertes Rohrnetz sorgt dafür, Wärmeverluste der produzierten Energie so gering wie möglich zu halten.
20 Prozent Energie zurückgewinnen
Neben der signifikanten Erweiterung des Fernwärmenetzes im letzten Jahr – es wuchs mit 12 km Leitungslänge auf fast das Doppelte an – erfuhr die Fernwärme Seitenstetten zeitgleich einen enormen Modernisierungsschub. Dabei wurde eine Rauchgaskondensationsanlage vom oberösterreichischen Unternehmen Heger Edelstahl zur Wärmerückgewinnung aus dem Rauchgas der Biomassekessel eingebaut. Mit der Installation der Rauchgaskondensationsanlage HEGC-300 wird das feuchte Abgas der beiden neu installierten Biomassekessel (2.000 kW und 500 kW) effizient genutzt. Die Anlage kühlt die Abgase in einem Wärmetauscher ab, wodurch ein Teil des Wasserdampfes rekondensiert und somit ca. 20 Prozent Energie zurückgewonnen wird. Der Wärmeinhalt der Abgase wird dabei in einem Glattrohrwärmetauscher aus hochwertigem Edelstahl direkt in Nutzwärme für das Heiznetz umgewandelt. Der Einbau der Wärmerückgewinnungsanlage HEGC-300 optimiert nicht nur die Wärmeauskopplung, sondern führt auch zu einem Entstaubungseffekt – der Entstaubungsgrad beträgt ca. 50 bis 60 Prozent. Das Hauptziel dieser Anlage ist die Minimierung des Energiebedarfs und der Brennstoffkosten. „Die Installation der Wärmerückgewinnungsanlage ist eine effiziente und kostensparende Lösung für die Nutzung der Abgaswärme“, betont Dipl.-Ing. Robert Pretzl, Geschäftsführer von Heger Edelstahl. Bei einer rückgewonnenen Wärmemenge von 1.200 MWh/a werden ca. 1.940 Schüttraummeter Hackschnitzel pro Jahr eingespart, was einer CO2-Reduktion von 562.000 kg jährlich entspricht. Durch die Nutzung der Abwärme wird nicht nur die Umwelt geschont, sondern es können erhebliche Einsparungen bei den Energiekosten erzielt werden. Zudem ist die Anlage so aufgebaut, dass in Zukunft ein zusätzlicher Wärmetauscher zur weiteren Abgaskühlung eingebaut werden kann.
Modernisierung macht Heizwerk Seitenstetten zukunftsfit
Eine weitere bauliche Maßnahme im Heizwerk Seitenstetten war die Erweiterung der Photovoltaikanlage am Dach des Heizwerks und der Hackschnitzel-Lagerhalle von 200 kW auf 300 kW. Die damit erzeugte Energie wird für den Betrieb der Anlage genutzt sowie überschüssiger Strom ins öffentliche Netz eingespeist. Um all die neuen Komponenten des Heizwerks in den Betrieb einzubinden, bedarf es einer durchdachten Steuerungstechnik. Dabei konnte man sich auf das Know-how von Schneid aus Graz verlassen. Das Unternehmen lieferte unter anderem den MSR-Schaltschrank des Heizhauses, die Netzpumpen- und Kesselregelung sowie das Puffermanagement des 100.000 Liter fassenden Pufferspeichers, der zur Abfederung von Lastspitzen dient. Die Visualisierung des Heizhauses und der Abnehmer sowie die automatische Alarmierung bei Störungen vereinfachen den laufenden Betrieb. Dank der vollumfänglichen Modernisierung versorgt das Heizwerk Seitenstetten Verbraucher in der Gemeinde weit über die Klostergrenzen hinaus verlässlich mit nachhaltiger Wärme.
Erschienen in zek KOMMUNAL Ausgabe 2/2024
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