Abwassertechnik

Hochwasserschutz für das Bregenzer Kanalsystem: mannshohes Ablaufrohr in den Bodensee verlegt6 min read

25. Feber 2024, Lesedauer: 5 min

Hochwasserschutz für das Bregenzer Kanalsystem: mannshohes Ablaufrohr in den Bodensee verlegt6 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Ein wahrlich spektakulärer Anblick bot sich im April 2021, als ein fast 300 m langes mannshohes Rohr per Schiff auf den Bodensee gezogen und bis auf eine Tiefe von 16 m versenkt wurde. Dieser Teil des Notüberlaufs der Kläranlage Bregenz ist nur ein Element der Hochwassersicherung für die Abwasserreinigungsanlage der Vorarlberger Landeshauptstadt. Zusätzlich entstand ein neues Hochwasserpumpwerk, das 4.000 Liter pro Sekunde fördern kann und dank komplexer elektrotechnischer Ausstattung automatisch ab einem kritischen Pegelstand zu arbeiten anfängt.

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Der neue Ablauf kurz vor dem Anlegen in der Bregenzer Bucht.
© Dietmar Stiplovsek

Ab fünf Meter wird es kritisch: Das ist jene Marke, ab der es am Bodensee Hochwasseralarm gibt. In den Jahren 1999, 2002 und 2005 war die Bregenzerach, ein Zulauf des Bodensees, von Überschwemmungen betroffen und entging nur knapp einer Katastrophe. Ein wesentlicher Baustein zur Beseitigung der ökologischen und schutzwasserbaulichen Defizite ist ein neuer Notüberlauf, der nun nicht mehr in der Bregenzerach mündet, sondern seit 2021 weit in den Bodensee hinein reicht.

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Die Abwasserreinigungsanlage Bregenz reinigt zwischen 6.000 und 7.000 m³ Schmutzwasser pro Tag. Das macht 2.372.500 m³ Schmutzwasser im Jahr.
© Landeshauptstadt Bregenz

Hochwasser- und Naturschutz
Die Abwasserreinigungsanlage (ARA) in Bregenz wurde Mitte der 1960er Jahre errichtet und war damals erst die zweite biologische Kläranlage Österreichs und die erste am Bodenseeufer. Im Schnitt produzieren die rund 32.000 Bewohnerinnen und Bewohner des Einzugsgebietes der Bregenzer Kläranlage pro Sekunde 100 Liter Abwasser. Kommt Regenwasser dazu, steigert sich dieser Wert auf bis zu 4.000 Liter pro Sekunde. Fast 4 Millionen m3 beträgt die durchschnittliche Tagesmenge Wasser, die von der Bregenzerach in den Bodensee fließt. Bei Hochwasser ist es mehr als das 25-Fache. Nicht zuletzt deshalb führte der eigens gegründete Wasserverband ab Herbst 2020 an dem 7,5 km langen Unterlauf zwischen Kennelbach und der Seemündung umfassende Maßnahmen durch. Sie basieren auf einem Gewässerentwicklungskonzept zum Schutz der Anrainergemeinden und des Naturschutzgebiets. „Der Notüberlauf, der zuvor in die Bregenzerach mündete, musste aufgrund von naturschutztechnischen Auflagen umgelegt werden. Durch den Rückbau besteht aber der Vorteil, dass sich die Ach besser entfalten kann“, erklärt der Leiter der Kläranlage in Bregenz, Stefan Carotta. Dazu zählt unter anderem eine neue Ufergestaltung, die die Dammstabilität erhöht. Das Flussbett ist seither erweitert, die Dämme sind verstärkt und die Ufer leichter begehbar. Verschiedene kleine und große Maßnahmen lassen den Natur- und Lebensraum an Wert gewinnen und machen ihn sicherer.

Steuerschrank Schubert
Der Steuerschrank im Hochwasserpumpwerk: Schubert CleanTech rüstete die gesamte elektrotechnische Anlage aus.
© Schubert CleanTech

Elektro- uns steuerungstechnisch auf den Stand der Zeit gebracht
Neben dem Notüberlauf errichtete man auf dem ARA-Gelände im Bereich der Kompostieranlage ein Hochwasserpumpwerk. Darüber hinaus wurde, um die Reinigungsleistung zu erhöhen, im Regenklärbecken eine Rechenanlage installiert. Bedingt durch den erhöhten Leistungsbedarf beim Hochwasserpumpwerk wurde ein zweiter Transformator in der Kläranlage benötigt, in Folge ist auch die Niederspannungshauptverteilung der Anlage im laufenden Betrieb an den aktuellen Stand der Technik angepasst und erneuert worden. Die ARA Bregenz und das für das Projekt beauftragte Planungsbüro Rudhardt | Gasser | Pfefferkorn Ziviltechniker setzte bei der elektrotechnischen Ausrüstung auf die Kompetenz des niederösterreichischen Unternehmens Schubert CleanTech, das die komplette EMSR-Ausrüstung lieferte. Das Hochwasserpumpwerk kommt automatisch bei einem Pegelstand des Bodensees von 4,8 m zum Einsatz. Dessen Funktionsweise erklärt Alexander Ganaus, Projekttechniker bei Schubert CleanTech, so: „Im Hochwasser- und Schmelz­wasserfall entsteht ein Gegendruck in der Leitung des Notüberlaufs. Da der hydraulische Ausgleich ab einem gewissen Punkt nicht mehr stattfindet, muss das Wasser rausgepumpt werden.“ Das Hoch­wasserpump­werk verfügt über fünf Pumpen mit je 75 kW Leistung, die jeweils 1.400 Liter pro Sekunde fördern. Geregelt wird der ­Betrieb über einen zentralen Steuerschrank. Auch drei Schieber – einer beim Ablauf der Kläranlage zum Pumpwerk, einer beim neuen Notüberlauf sowie einer beim Regenüber­laufbecken – werden damit angesteuert. „Die gesamte Leittechnik wurde in die zentrale Steuerung der Kläranlage eingebunden“, berichtet Alexander Ganaus. Im Lieferumfang waren außerdem noch Ablaufdrucksonden, eine Trockenlaufüberwachung sowie die Not­strom­­einspeisung beinhaltet.

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Spezialtiefbau: Das Fundament für das
Hochwasserpumpwerk steht auf DSV-Säulen.
© i+R Bau

Monitoring-System für Hochwasser
Um das Hochwasserrisiko weiterhin zu senken, implementierte Schubert CleanTech das komplexe Messsystem Nivus zur Überwachung von Starkregen und Überschwemmungen, was eine frühzeitige Alarmierung von Rettungskräften zur Folge hat. Die Monitoring-Lösung besteht aus einer selbstlernenden Intelligenz und einem Netz aus Schwarmsensoren, unter anderem werden der Wasserspiegel des Bodensees sowie die Fließgeschwindigkeit gemessen. Für die Alarme löst Nivus die öffentlichen Wetterdaten zeitlich und räumlich auf, Lücken bei der Messung werden mit energieautarker und smarter Elektronik geschlossen.

1,80 Meter großes Rohr als Notüberlauf
Kommt es zu einem Hochwasserereignis, wird das Wasser über eine 900 m lange Leitung in den See geführt. An Land verlegte das Bauunternehmen i+R Bau aus der Bregenzer Nachbargemeinde Lauterach ein 650 m langes Stahlbetonrohr bis zum Ufer, das bis zu 5 m unter Grund verläuft. Dort setzt das 280 m lange PE-Rohr an. Der See-Teil des neuen Ablaufrohres wurde im April 2021 mittels Zugschiff vom Ufer am rechten Rheindamm in den Bodensee eingeschwommen und am nächsten Tag von Berufs-Tauchern auf bis zu 16 m Tiefe in einen zuvor ausgehobenen Graben versenkt. In den zwei Wochen zuvor schweißte i+R 22 vorgefertigte Elemente aus Polyethylen (PE) mit 1,8 m Durchmesser anein­ander und brachte an den Nähten des Rohres Betonhalbschalen an. Diese dienten beim Einschwimmen als Ballast und nach dem Absenken als Rohrauflager. Damit liegen 360 Tonnen Material am Seegrund, die zusätzlich mit 2 m, dem Graben zuvor entnommenen, Kies überschüttet und so fest verankert wurden. Herausfordernd dabei waren der Bau im Naturschutzgebiet, der generell hohe Grundwasserstand im ufernahen Gelände, die Lage im Verkehrs- und Naherholungsgebiet sowie die Sicherstellung des laufenden Betriebs der Abwasserreinigungsanlage. „Im Februar 2021 hatten wir zudem ein 100-jähriges Hochwasser­ereignis“, ergänzt Ernst Stemer, Leiter i+R Tiefbau. Für den reibungslosen Bau sicherte i+R den Graben mit 12 m langen ausgesteiften Spundwänden.

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Per Zugschiff wurde das PE-Rohr an das Bregenzer Seeufer gezogen.
© Dietmar Stiplovsek

Flexibel und langlebig
Dass der See-Anteil des Rohres in Kunststoff realisiert wurde, hat mehrere Gründe: „PE hat eine viel längere Lebensdauer als Stahlbeton oder Glasfaser, ist korrosionsbeständig, kostengünstiger und einfacher zu installieren“, erklärt Markus Ebster, Leiter der Business Unit „XXL Rohrsysteme“ des oberösterreichischen Herstellers Agru Kunststofftechnik GmbH. Zudem ist es flexibler und hält so einem Wellengang bei der Installation und später etwaigen Erschütterungen oder Setzungen am Seegrund stand. Um die Werkstoffe am Ufer problemlos aneinander zu schließen, errichtete i+R einen Spundwandkasten und installierte eine Spezialkonstruktion aus Kunststoff (PE), welche vielen Tonnen Belastung standhält.

Höhere Wasserqualität am Badestrand
Während der Bauarbeiten bot die aufwändige Installation der mannshohen Rohre des Notüberlaufs mittels Zugschiff einen spektakulären Anblick, heute ist davon nichts mehr zu sehen, das Resultat ist hingegen spür- und messbar. Denn nicht nur die Hochwassersicherheit der Bodensee-Anrainergemeinden konnte gesteigert werden. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass damit auch die Badewasserqualität beim Mündungsgebiet der Bregenzerach verbessert wurde. Beim Übergabepunkt am See wurde die Leitung bis zur sogenannten Sprungschicht abgesenkt. „Das Wasser wird direkt Richtung Seegrund geleitet und kann nicht mehr aufsteigen, die vier Grad Celsius Wassertemperatur verhindern das“, erklärt der Leiter der Kläranlage in Bregenz, Stefan Carotta.

Erschienen in zek KOMMUNAL Ausgabe 4/2023

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