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Schlauchwehr hält Geschiebe zurück6 min read

1. Feber 2016, Lesedauer: 4 min

Schlauchwehr hält Geschiebe zurück6 min read

Lesedauer: 4 Minuten

Überschwemmungen führten im Tiroler Ort Schnann im Stanzer Tal immer wieder zu groben Schäden an den Häusern und den Landwirtschaftsflächen.

 

Die Geschiebesperre am Flussoberlauf des Schnanner Bachs konnte das Geröll oftmals nicht zurückhalten, die Folge war ein Materialstau im Mündungsbereich des Rosanna Bachs und ein daraus resultierendes Hochwasser. Wildbach Imst will mithilfe einer neu konstruierten Schlauchwehr das Geröll an der Geschiebesperre zurückhalten und so die Überschwemmungsgefahr eindämmen.

Der gemessene Tagesniederschlag überstieg am 22. August 2005 jenen Wert, welcher rein statistisch nur alle 150 Jahre auftritt. Die Hochwasserkatastrophe vor zehn Jahren in Westösterreich zählt zu den größten und weitesträumigen Ereignissen in Österreich seit Beginn systematischer Aufzeichnungen. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete war damals das Stanzer Tal. Durch die extremen Niederschläge wurden zahlreiche Umlagerungsprozesse in Wildbächen und Flüssen in Gang gesetzt – so auch beim Schnanner Bach und der Rosanna. Der Schnanner Bach trat in der Nacht  vom  22. auf den 23. August über die Ufer und zerstörte dabei etliche Häuser, richtete erheblichen Flurschaden an und brachte bis zum Nachmittag des 23. August ca. 50.000 bis 60.000 m3 Material ins Dorf. Neben Hochwasserabflüssen und Feststofftransporten kam es auch vereinzelt zu Murgängen. Maßgeblich für das großflächige Ausufern waren Gerinneüberlastungen, Rückstau im Mündungsbereich von Zubringern und rückschreitende Gerinneauflandungen. Die Aufräumarbeiten dauerten bis November 2005.

Hochwasser im Mündungsbereich
Die Wichtigkeit eines rasch greifenden Hochwasserschutzes zeigte sich bei der Hochwasserkatastrophe in Tirol auf dramatische und eindringliche Weise. Für einen besseren Schutz gegen Katastrophenunfälle in Zukunft entwickelte Imster Wildbach einen Prototyp einer neuen Art von Geschiebesperre. Die bestehende Bogensperre des Schnanner Baches sollte die Ortschaft Schnann vor Überschwemmungen schützen. Im Falle eines Murenabgangs wird häufig sehr viel Geschiebe in den Bach transportiert. Da jedoch solche Muren in diesem Gebiet wenig Totholz oder sonstiges grobes Material führen, kommt es praktisch zu keinem Verschluss der Öffnungen, einer sogenannten Verklausung, in der Sperre und damit nur zu einem geringen Geschieberückhalt. Das Material passiert die Sperre und wird zum Mündungsbereich nahe dem Rosanna Bach transportiert, der sich in der Nähe der Gemeinde Schnann befindet. Die Geschiebetransporte können solche Ausmaße annehmen, dass die Schleppspannungen durch den Wasserlauf im Rosanna Bach nicht ausreichen, um das Material weiterzutransportieren. Das hat in der Vergangenheit bereits mehrmals zu Überschwemmungen in der Ortschaft Schnann und zu entsprechendem Unmut bei den betroffenen Bürgern geführt.

Aufgrund dieser Probleme wurde Michael Posch von der Wildbach- und Lawinenverbauung, von der Gemeinde Pettneu und dem Land Tirol als Projektleiter mit der Suche nach einer Lösung beauftragt. Das Ziel lautete, dass mehr Geröll im Sperrenbereich zurückgehalten werden soll und ein Rückstau des Bachs infolge zu hoher Anlandungen vermieden werden kann. Zurückgehaltenes Geschiebe soll später möglichst kostengünstig wieder abgegeben und weitertransportiert werden, sobald der Vorfluter dafür wieder frei ist. In Zusammenarbeit mit den Ziviltechnikern Matthias Luxner und Engelhart Gstrein aus Imst wurde die Möglichkeit einer Rückhaltung von Geschiebe durch eine Klappe oder einen Schieber, welcher nach einem Murenabgang kontrolliert geöffnet werden soll,  eruiert. Nachdem jedoch die Gefahr einer Blockierung von solchen Bauteilen nicht ausgeschlossen werden kann, entwickelte das Team die Idee, ein spezielles Schlauchwehr zu verwenden und einen Prototyp für diese Anwendung zu konstruieren. Erfahrungen von anderen Anwendungen zeigen, dass die Membran sehr gut der Reibung durch das Geschiebe standhalten kann. An der Universität Innsbruck wurde zudem ein Flussmodell zur Simulation des Mündungsbereichs nachgebaut. Aus diesem Modellversuch leiten sich Verbesserungen der Einmündung ab.

Systemüberblick
Die Geschiebesperre basiert auf folgendem System: Die Bogensperre verfügt über vier Öffnungen, die übereinander geordnet sind – davon können die obersten drei durch Schlauchwehre verschlossen werden. Durch die unterste Öffnung verläuft der normale Wassergang des Baches. Am oberen, rechten Rand der Geschiebesperre wurde ein 30 m3 Behälter für Wasser, mit dem die Schlauchwehre befüllt werden können, angeordnet. Aufgrund der schwierigen Geländeverhältnisse wurde der Behälter aus Stahlbeton hergestellt. Er kann mittels einer Pumpe befüllt werden. Diese befindet sich in einem Pumpenhaus, das auch als Steuer- und Schaltzentrale dient und auf der Unterseite der Sperre angeordnet ist. Gussleitungen verbinden die Pumpe mit dem Behälter und den Behälter mit den Schlauchwehren. Durch Öffnen der Armaturen können die Wehre gefüllt werden – da der Behälter oben angeordnet ist, geschieht dies rein durch hydrostatischen Druck von bis zu 4 bar.

Rohrsystem aus duktilem Gusseisen
In diesem Projekt spielt auch das Rohrsystem eine wichtige Rolle. Es wird daher auf Rohrmaterial aus duktilem Gusseisen mit seiner besonderen Robustheit und dem VRS-T®-Verbindungssystem gesetzt. Ausschlaggebend dafür ist, dass es selbst bei extremen Einwirkungen wie etwa durch Steinschlag höchste mechanische Widerstandsfähigkeit und damit einen sicheren Betrieb garantiert. Die Rohre mussten auf der Sperrenwand frei verlegt werden können, aus UV-beständigem Material sein und sollten aufgrund der schlechten Zugänglichkeit der Baustelle leicht zu verarbeiten sein. Infolge der hohen Sicherheitsanforderungen fertigten Mitarbeiter von Tiroler Rohre Spezialpassstücke für die genaue Anpassung an und unterstützten außerdem das Montageteam mit ihrem Know-how. Die Membranen für die Schlauchwehre wurden im Bauhof der Wildbach vormontiert. Aus Holz wurde hierfür ein 1:1-Modell errichtet und die darauf montierten Schlauchwehre als Ganzes dann zur Sperre transportiert und eingebaut.

Betrieb der Geschiebesperre
Der gesamte Bereich der Einmündung des Schnanner Bachs in den Vorfluter und der Geschiebesperre ist videoüberwacht. Werden im Bereich der Gemeinde Schnann Verlandungen durch einen zu hohen Geschiebetransport festgestellt, wird das System aktiviert. Vom Behälter zu den Schlauchwehren ist durch den natürlichen Höhenunterschied ein Vordruck von 4 bar vorhanden. Zu Beginn werden die Wehre schonend mit nur 0,3 bar erstbeaufschlagt. Im Schlauch ist ein Neigungssensor eingebaut, der den zunehmenden Geschiebedruck misst und dadurch den Druck auf die Wehre automatisch weiter erhöhen kann. Wenn im Vorfluter bereits angelandetes Material weitertransportiert und dadurch wieder Raum im Mündungsbereich geschaffen wird, können die Schlauchwehre wieder entleert und die Öffnungen freigegeben werden. Der dadurch ausgelöste Schwall soll nun wieder Geschiebe mitfördern, um teure Ausbaggerungs- und Transportarbeiten zu vermeiden. Außerdem kann so eine Eintiefung des Vorfluters verhindert werden. Beim Entleeren der Schläuche wird das enthaltene Wasser in einen Keller unter dem Pumpengebäude geleitet, der ein Volumen von 10 m3 aufnehmen kann. Von dort aus wird das Wasser wieder in den Hochbehälter gepumpt. Die vom Wehrsteuerungsspezialisten Rittmeyer gelieferte Steuerung des Systems erfolgt über ein Tablet. Dabei werden die Befehle in der Steuer- und Schaltzentrale mitprotokolliert, sodass aus vergangenen Steuerungen Verbesserungen im zukünftigen Betrieb abgeleitet werden können. Für einen Störfall ist zudem ein Notstromaggregat in der Schaltzentrale vorgesehen und eine manuelle Bedienung der Schieber noch möglich.

Deutlicher Schutz bei Murenabgang
Durch die Ausrüstung der Geschiebesperre mit den Schlauchwehren und dem zugehörigen Steuersystem wird für den nächsten Murenabgang ein deutlich besserer Schutz der Gemeinde Schnann erwartet. Dabei erfordert jedoch die Bachökologie eine Durchgängigkeit von Fließgewässern, die bei Normalabfluss mit geöffneten Schlauchwehren jetzt gegeben ist. Langfristiges Ziel der Wildbach ist eine selbstentleerende Sperre. Dafür müssen Erfahrungen im Betrieb gesammelt und bei zukünftigen Murenabgängen berücksichtigt werden. Nach Möglichkeit kann hier zudem der Automatisierungsgrad noch weiter erhöht werden.

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