Automatisierte Leckortung – ein Frühwarnsystem, das Wasser- und Personalressourcen schont7 min read
Lesedauer: 5 MinutenKlimawandel und Fachkräftemangel beherrschen die gesellschaftliche Agenda und auch Wasserversorger kämpfen mit diesen Herausforderungen.
Wasser ist kostbar, in Hitzeperioden mehr denn je. Lecks müssen also rasch gefunden und Wasserverluste eingedämmt werden. Netzüberwachung, Leckortung und -behebung erfordern aber hohe personelle Ressourcen. Die Potenziale der automatisierten Leckortung eröffnen einen Ausweg aus dem Dilemma.
Der Dürresommer des vergangenen Jahres hat die Trinkwasserversorgung vielerorts einem echten Stresstest unterzogen. Kommunen und Versorger riefen zum Wassersparen auf, Entnahmeverbote und Nutzungseinschränkungen standen im Raum. Die schleichenden Auswirkungen des Klimawandels auf die verfügbaren Grundwasservorkommen sind vielen Studien zufolge bereits nachweisbar. Wobei laut Umweltbundesamt mehr als 70 Prozent des Trinkwassers in Deutschland aus Grundwasser stammt. Umso mehr gilt es, Lecklaufzeiten im Wasserverteilnetz auf ein Minimum zu begrenzen. Das verbreitete Verfahren ist aber oft mit großer zeitlicher Latenz zwischen Leckentstehung und Leckortung behaftet, zudem ist es sehr personalintensiv. Dabei muss die Versorgungswirtschaft noch mehr als andere Branchen gegen den Fachkräftemangel ankämpfen. Zwei Zahlen die dies verdeutlichen: Im Freistaat Bayern kommen auf 3.300 Wasserversorger gerade einmal 60 Auszubildende, die 2018 ihre Ausbildung zum Wasserversorgungstechniker abschlossen. „Weit unter dem Bedarf“, so Jörn-Helge Möller, Geschäftsführer der bayerischen Landesgruppe des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs im Frühjahr gegenüber dem Bayrischen Rundfunk.
Verlässliches Lagebild des Netzabschnitts
Die Esders GmbH bietet mit Enigma3m ein Verfahren an, dass die Leckortung weitgehend automatisiert. Auf Basis qualifizierter Logger- und GIS-Daten (Geographisches Informationssystem) werden auftretende Leckgeräusche nachtsüber via Cloud Computing korreliert. Der Versorger erhält so an jedem Morgen ein verlässliches Lagebild des untersuchten Netzabschnitts und kann unmittelbar handeln. Werden die korrelierenden Geräuschlogger Enigma3m proaktiv zur Überwachung gefährdeter Netzabschnitte ausgesetzt, können Leckagen oft binnen 24 Stunden geortet und behoben werden. Damit schont die Methode beide Ressourcen, sowohl Wasser als auch Personal. Zudem hat sie sich bereits vielfach in der Praxis bewährt, beispielsweise im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Pilotversuchs mit 33 Enigma3m-Loggern bei IWB, dem öffentlichen Energieversorgungsunternehmen des Kantons Basel-Stadt in der Schweiz.
Zeitaufwand bei konventioneller Leckortung
Das übliche Vorgehen bei der Leckortung ist in der Regel fünfstufig: Auf eine erste Vorortung mittels Kontaktmikrofon folgt eine zweite Vorortung durch Geräuschlogger, mit der die Schadstelle weiter eingegrenzt wird. Im dritten Schritt wird die exakte Schadstelle mit einem oberirdischen Korrelator auf den Punkt genau lokalisiert. Dabei werden die an mehreren Punkten des Rohrsystems aufgenommen Leckgeräusche zueinander in Beziehung gesetzt (Korrelation). Aufgrund der Zeitunterschiede, mit denen der Schall die jeweiligen Kontaktstellen erreicht, wird die exakte Leckposition errechnet. Nachdem viertens mittels Bodenmikrophon die Leckstelle bestätigt wurde, kann der Schaden behoben werden. Da im Umfeld von Rohrbrüchen, die auf Hebungen, Setzungen oder Bautätigkeit zurückgehen, weitere kleinere Leckagen, deren Leckgeräusche bis dahin von dem behobenen Schaden überlagert wurden, wahrscheinlich sind, erfolgt im fünften Schritt eine umfassende Nachkontrolle. Die meisten Versorger arbeiten dabei anlassbezogen: Auf einen Leckageverdacht hin werden die Geräuschlogger ausgesetzt und nach erfolgter Aufzeichnung wieder eingesammelt und ausgelesen. Für den Personalaufwand vom ersten Leckageverdacht bis zur Punktortung veranschlagen Versorger erfahrungsgemäß 15 bis 20 Personalstunden. Immer mehr Versorger gehen jedoch dazu über, Risikogebiete routinemäßig durch dauerhafte Logger-Installation permanent zu überwachen. Die Loggerdaten werden dann periodisch mittels Funkauslesung gewonnen. Hierzu müssen Mitarbeiter das überwachte Gebiet regelmäßig mit dem Auto abfahren („Drive-by-Lösung“). Ähnlich wie oben beschriebenen lief auch das Monitoring innerhalb des Wasserverlustmanagements von IWB in Basel ab. Deren Wasserverteilnetz ist geografisch in fünf Druckzonen unterteilt: In den Zonen zwei bis fünf mit rund 80 Kilometer Leitungsnetz wurden einmal jährlich Geräuschlogger ausgesetzt, nach der Aufzeichnung händisch wieder eingesammelt und ausgelesen. In Zone 1 mit etwa 420 Kilometer Netzstrecke wurden dauerhaft Logger installiert und vierteljährlich per „Drive-by“ ausgelesen. „Das bedeutet im ungünstigsten Fall, also wenn ein Schaden kurz nach dem turnusgemäßen Auslesen eintritt, Lecklaufzeiten von der Entstehung der Leckage bis das Wasserversorgungsunternehmen auf die Leckage aufmerksam wird, von bis zu drei Monaten in Zone 1 und bis zu einem Jahr in den Zonen 2 bis 4“, sagt Michael Gauer, der heute als Betriebsingenieur im Wasserverlustmangement von IWB arbeitet. Für seine Master-Thesis an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Muttenz mit dem Titel „Water loss assessment and leak monitoring” evaluierte Gauer im Sommer 2018 die Sensitivität vier unterschiedlicher Leckortungssysteme mit Fernübertragung der Geräuschdaten. Hierzu wurden teils reale Leckagen genutzt oder Lecks mit unterschiedlicher Lautstärke an Unterflurhydranten simuliert. Weiterhin wurde ein Kriterienkatalog mit 16 technischen und betriebswirtschaftlichen Sub-Kategorien zur standardisierten Bewertung der Systeme entwickelt. Alle ausgewerteten Geräte versenden die nachtsüber aufgezeichneten Geräuschdaten per Mobilfunk. Bei zwei Systemen muss jedoch ein eigenständiges Netz zwischen Logger und Datenübermittlungseinheit für proprietären Kurzstreckenfunk aufgesetzt und vorgehalten werden. Das erfordert oberirdische Installationen etwa an Häuserfronten und Straßenlaternen, die aufwendig sind und leider oft zum Ziel von Vandalismus werden. Daneben muss bei einer Umsetzung der Logger in ein anderes Überwachungsgebiet die gesamte Kommunikations-Infrastruktur von neuem installiert werden. Die beiden anderen Systeme, darunter Enigma3m, greifen autark auf das Mobilfunknetz vor Ort zu und versenden die Messergebnisse unmittelbar aus der Unterflurkappe an den Server. Wobei sich die in den Enigma3m verbaute Roaming- SIM-Karte automatisch in das Mobilfunknetz mit der besten Abdeckung am Logger-Standort einwählt, was die Zuverlässigkeit und Effektivität der Überwachung nochmals erhöht. Bei der Netzüberwachung von IWB beispielsweise standen fünf verschiedene Mobilfunknetze zur Auswahl. Der autarke Mobilfunk macht das Gesamtsystem sehr mobil. Es kann somit rasch und mit überschaubarem Aufwand in einen anderen Netzabschnitt versetzt werden.
Vorteile des korrelationsgetriebenen Systems
Zwei der getesteten Systeme alarmieren bei Überschreiten eines kritischen Geräuschpegels. Sie arbeiten allerdings ausschließlich pegelgetrieben: Die Überschreitung eines hinreichenden/definierten Geräuschpegels löst einen Alarm aus, daraufhin korreliert der Nutzer die Geräuschdaten, indem er den Prozess manuell anstößt. Nachteil: Bei leisen Leckagen, sei es aufgrund der Leckgröße oder der Entfernung zum Logger, wird der kritische Geräuschpegel nicht erreicht und das Leck läuft „unter dem Radar“ weiter. Die beiden anderen Systeme, darunter Enigma3m von Esders, agieren korrelationsgetrieben: sie korrelieren die aufgezeichneten Geräusche automatisch auf einem Webserver. Der Esders-Server führt nicht nur Geräusch- und Korrelationsdaten zusammen. Vor der Messung erfolgt ein automatischer Import der Rohrleitungsdaten aus dem Geographischen Informationssystem (GIS) des Versorgers. Danach kann der Server mit den hinterlegten Rohrplänen und den Informationen zu Materialeigenschaften, Nennweiten von Leitungen arbeiten. Spätere bauliche Änderungen können über die Funktion „Leitung zeichnen“ einfach digital ergänzt oder durch ein Update aus dem aktualisierten GIS vervollständigt werden. Je genauer und detaillierter das GIS ist, desto präziser kann Enigma3m korrelieren. Störgeräuschen oder zufällige große Wasserabnahmen während einer Messung bereinigt Enigma3m durch Korrelation von bis zu sieben Nächten mit jeweils drei Messintervallen.
Leckagen auf den Meter genau orten
Systeme mit automatischer Korrelation wiesen in der Untersuchung die besten Ergebnisse auf. Sie orteten Leckagen durch Korrelation der Geräuschdaten bis auf einen Meter genau. Die durchschnittliche Genauigkeit der Punktkorrelationen von Enigma3m lag bei den rea-len Leckagen mit 0,39 Zentimetern sogar deutlich unter einem halben Meter. Auch korreliert Enigma3m aufgezeichnete Geräuschdaten immer unabhängig von der Lautstärke. So wurden in Basel auch kleine, simulierte Lecks geortet, die einen vergleichsweise niedrigen Geräuschpegel aufwiesen.
Intuitiv gestaltete Benutzeroberfläche
Das Untersuchungsdesign von Michael Gauer unterscheidet zwischen Haupt- und Nebenkriterien, mit unterschiedlicher Gewichtung. Maßgebliche Hauptkriterien waren die Genauigkeit der Korrelationen, Korrelationsfunktionen, Interpretierbarkeit der Korrelationsresultate und die Leckortungsrate des jeweiligen Systems, also wie viele der realen und simulierten Lecks vom System gefunden wurden. In der Gesamtauswertung lieferten die korrelierenden Geräuschlogger Enigma3m von Esders die besten Ergebnisse. Maßgeblich waren vor allem die signifikant höheren Leckortungsraten der Esders-Geräte und die hohe Genauigkeit der Punktkorrelation von durchschnittlich 0,39 Meter. Ein weiterer Mehrwert besteht in der intuitiv gestalteten Benutzeroberfläche des Enigma3m-Webportals zur Überwachung von Druck, Durchfluss und Leckagen im Wassernetz „Die Webapplikation reduziert das System auf die wesentlichen Funktionen, was die Einarbeitung beschleunigt“ sagt Michael Gauer.
Zeitaufwand gegenüber konventioneller Leckortung signifikant verkürzt
Aufgrabungen zur Leckbehebung konnten in Basel nach kurzer Absicherung mit mobilem Korrelator und Bodenmikrofon vor Ort in An-griff genommen werden. Damit reduziert Enigma3m das oben angesprochene fünfstufige Vorgehen auf die beiden Schritte automatisierte Korrelation und Punktortung vor Ort, die Nachkontrolle des Leckumfeldes ist mit der Permanentüberwachung gewährleistet. Gegenüber den oben angesprochenen 16 bis 20 Personenstunden konnten Leckagen binnen kurzer Zeit zu Beginn des Arbeitstages digital vorgeortet und gezielt angefahren werden. Die Bestätigung vor Ort per mobilem Korrelator und Bodenmikrofon wurde innerhalb von 90 Minuten bewerkstelligt, sodass sich der Zeitaufwand bis zur Punktortung je nach Wegstrecke auf maximal drei Stunden belief.
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