Open Source Software zur Optimierung von Nah- und Fernwärmenetzen
Fernwärmesysteme zählen zu den saubersten, komfortabelsten und umweltfreundlichsten Formen der Energiebereitstellung für Heizung und Warmwasser. Fernwärmebetreiber sammeln zwar bereits routinemäßig diverse Messdaten, nutzen diese jedoch nicht vollumfänglich. Eine Anwendung für solche Messdaten ist die Vorhersage der erforderlichen Wärmelast im Netz auf der Grundlage historischer Datensätze, unabhängig von Expertenwissen, für eine verbesserte, effiziente Nutzung der Anlageninfrastruktur und vorausschauende Betriebsstrategien. Die webbasierte Plattform „Predict-IT“ standardisiert die Vorhersage-Pipeline, um den Prozess für derartige Prognosen zu vereinfachen. Die Plattform verwendet einen innovativen Long Short-Term Memory (LSTM)-basierten neuronalen Netzalgorithmus, der bereits mit wenigen Eingaben (gemessene Heizlast und Umgebungstemperatur) eine zukünftige Wärmelast sehr exakt prognostiziert.
Im Kampf gegen den Klimawandel nehmen die 2.400 Nah- und Fernwärmesysteme in Österreich eine wichtige Rolle ein, welche der Notwendigkeit von Stromimporten während der Wintermonate entgegenwirken. Diese nahezu wartungsfreien und kostengünstigen Wärmelieferanten können nun mit der kostenlosen Predict-IT-Software noch weiter optimiert werden, die von den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der Austrian Cooperative Research-Institute (ACR) V-Research, AEE INTEC und GET entwickelt wurde. „Wir nutzen die Digitalisierung im Energiemarkt, um das individuelle Wissen für eine breite Masse nutzbar zu machen“, fasst Katharina Dimovski, Forscherin bei V-Research, die Motivation hinter dem Projekt zusammen. In einem zweijährigen Projekt, das vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft kofinanziert wurde, konnten die wichtigsten wissenschaftlichen Fragestellungen gelöst und aussichtsreiche Algorithmen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) in die Predict-IT-Software integriert werden.

pink strichliert die Vorhersagen und grün die tatsächlichen zukünftigen Wärmelasten.
© Predict IT
Realistische Prognose der Wärmelast
Predict-IT erstellt Prognosen für die Wärmelast und Netzauslastung von Fernwärme- netzen auf der Grundlage von historischen Daten und Wettervorhersagen. Der Vor- hersage-Algorithmus ist ein hochmodernes neuronales Netz auf LSTM-Basis (Long Short-Term Memory). Mit einem Minimum an Eingabedaten lieferte Predict-IT bei der Validierung mit realen Daten von zwei österreichischen Fernwärmenetzen realistische Wärmelastprognosen. Ein Schwerpunkt lag auf der Definition der Hyperparameter und der Beschränkung der Datenmenge für das Training der KI. Schlussendlich wurde der Gittersuchansatz von KerasTuner verwendet, um einen Bestand von Hyperparametern zu erhalten, die zufriedenstellende Vorhersagen liefern. Das Modelltraining wurde auf einer NVIDIA Quadro P2000-Grafikkarte durchgeführt. Die Software stellt also keine besonders hohen Hardwareanforderungen, damit Nahwärmebetreiber nicht in kostenintensive Computer investieren müssen.

© Predict IT
Keine technischen Hürden für Nah- und Fernwärmebetreiber
Für gängige Prozessleitsysteme, die in Österreichs Fernwärmen eingesetzt werden, können die Betriebsdaten direkt über Schnittstellen eingelesen werden. Data Mining Algorithmen zur Normalisierung, Umgang mit fehlenden Werten, oder zur Vorbereitung von Teilstichproben übernehmen die Aufbereitung der Daten, etwa mittels der Python Bibliothek Tensorflow. Danach sind lediglich einige Parameter, wie Standort, Prognosehorizont oder die Intervalle der Auswertung zu wählen und falls bereits ein Trainingsmodell vorhanden ist, erfolgt umgehend die Prognose. Anderenfalls wird dieses automatisch erstellt und angewendet. Wetterprognosen importiert Predict-IT selbständig. Die Benutzerschnittstelle wurde durch das Web-Framework Django realisiert. Predict-IT zeichnet sich damit durch eine benutzerfreundliche webbasierte Nutzung und Installation (via Docker) aus.

© Predict IT
Bis zu 10 Prozent weniger Energieeinsatz
Die Ergebnisse sind vielversprechend, auf Basis der Ergebnisse von Predict-IT und Lösungen der GET und AEE-Intec, wie Optimierung der Volumenströme, oder Einbau von Pufferspeichern kann der Primärenergieeinsatz um bis zu 10 Prozent reduziert werden. Nahwärmebetreiber sind dazu aufgerufen selbst Gebrauch von der Software zu machen. Sie ist unter der GNU General Public License 3 (GLP v3), sowohl im privaten als auch im kommerziellen Bereich kostenlos verfügbar. Die ACR-Experten und Expertinnen stehen mit ihrer Lösung bei der Effizienzsteigerung von Nahwärmenetzen beratend zur Seite. Interessenten können unter der E-Mail-Adresse Arno.Grabher-Meyer@v-research.at weitere Informationen oder die Software mit Unterstützung bei der Implementierung anfragen.
Erschienen in zek KOMMUNAL, Ausgabe 3/2024